Neue Perspektiven eines alten Eisens
09.04.2025 Musik/KulturThomas Lötscher machte sich als sein Bühnen-Ich Veri auf seine urkomische Art Gedanken, wie wir älter werden. Dabei weigerte sich die kurlige Kunstfigur, als Restposten ins Warenlager der Gesellschaft abgestellt zu werden, und war bei genauem Hinhören weitaus weniger konservativ, als man eventuell dachte.
LUKAS SCHÄRER
Für Thomas Lötscher alias Abwart Veri ist Baar jedes Mal ein Heimspiel. Und so war die Rathus-Schüür auch seit Monaten ausverkauft, als der ehemalige Fussballtrainer Lötscher vorletzten Donnerstag mit seinem Programm «Restposten» gastierte. Es war aufs Neue faszinierend, wie Lötscher, der hinter der Bühne sehr viel jugendlicher ist, sich mit ein wenig Requisite in ein urchiges Entlebucher Original verwandeln konnte. Unter überschwänglichem Applaus erklomm Veri die Bühne. Als Erstes musste unser Baarer Gemeindepräsident Walter Lipp für liebevolle Sticheleien herhalten und erfahren, dass er Quasi-Beteiligter der Handlung war. Die Schweiz ist ein Land der Vereine, und so gründete auch Veri einen mit dem Ziel, zufällig in seinen Besitz gekommene Restposten zu verschachern – auf Initiative des Gemeindepräsidenten. Noch wichtiger war ihm jedoch, per Abstimmung zu klären, ob die Vereinsreise nach Mallorca oder in den Vatikan gehen sollte. Veri hoffte auf den Vatikan, doch Demokratie ist urschweizerisch und Entscheide hat man zu akzeptieren. Und er weigerte sich, als altes Eisen der Gesellschaft rezykliert zu werden.
Wenn das Füdli-Fett zum Aufspritzen der Lippen verwendet wird
Man kennt Lötscher hier, für ihn ist Baar eine sichere Bank: «Ich erfülle auch alle ihre Erwartungen. Dieses Programm ist ein wenig persönlicher als auch schon. Zwischendurch gibt es aber auch die politischen Seitenhiebe. Das lieben sie. Das funktioniert natürlich nicht nur in Baar. Es gibt viele, mit denen ich dann jeweils auch spreche, die immer wieder gerne kommen und die gespannt sind, wie ich die Gegenwart beurteile.» Der sublime Grundton war der Perspektivenwechsel, und Veri fuchtelte immer wieder mahnend mit einem passenden Ratgeber. Honi soit qui mal y pense, und «Restposten» schien zum Baarer Publikum im meist gesetzten Alter zu passen. Das wird der Figur Veris und dem Publikum natürlich nicht gerecht. Veri hat fürs Gendern oder Klimakrisen durchaus ein offenes Ohr. Lötscher: «Ich gestalte diese Figur bewusst so. Es ist sehr oft: Wenn man in eine traditionelle Beiz, die es auch in Baar gibt, kommt, etwa in Anzug und Krawatte oder in einer Handwerkerkluft, diskutiert man und sieht, dass die Personen durchaus anders sind, als man gedacht hätte. Ich probiere, mit den Erwartungen zu brechen. Es gibt den Gemeindepräsidenten, zu dem ich aufschaue, oder auch Köbi, ein gescheiterter Banker, der im Kern aber ein Hintermööser ist. Ich verzeihe ihm, obwohl er eine aufgetakelte Freundin hat, weil er immer noch mein Freund ist.»
Veri thematisierte immer wieder den Massentourismus. Und jeder kennt es wahrscheinlich: in den Ferien trotz polnischer Animateurin zum Vollinvaliden zu werden wie ein Kollege des polternden Veri. Der machte sich derweil bedrückende Überlegungen über die Kinderarbeit bei der Schuhproduktion. Und vom Übertourismus betroffene Menschen hätten die Arschkarte mit der Geburt erhalten, obwohl die nie jassen würden. Jugendwahn und Schönheitsoperationen waren ein wiederkehrendes Thema. Es ging um die Tücken, wenn das Füdli-Fett zum Aufspritzen der Lippen verwendet wird.
Spitalplanung als Restposten der kommenden Generationen
Veri sinnierte über Job-Sharing im Vatikan und erboste sich über die Widersprüche der letztjährigen Sicherheitskonferenz auf dem Bürgenstock.
Unsere Generation hinterlässt den Kommenden einen gewaltigen Restposten an Problemen. Lötscher: «In den Paketen auf der Bühne deute ich es ja kurz an. Da gibt es beispielsweise den Restposten ‹Spitalplanung› und den Bausatz ‹Gotthardröhre›.»
Lötschers Zeit als Kabarettist wird Anfang nächsten Jahres an ihr Ende kommen: «Es ist alles gesagt. Ich bin müde. Ich kann die Welt nicht ändern. Ich werde älter. Man soll richtig aufhören, wie man es vorher richtig gemacht hat. Meine Art und Weise mit Aktualität verlangt, dass man ständig dran bleibt. Ich lese sehr viel, habe mehrere Zeitungsabos. Ich bin fast 20 Jahre unterwegs und so oft ohne meine Frau.» Und weiter: «Ich habe in meinem Leben immer richtig aufgehört – als Fussballtrainer habe ich auch eines Tages gesagt, dass ich mich nicht «überschnorre» lasse. Ich habe mich damals bewusst entschieden, dass ich Veri professionell mache, und genauso höre ich jetzt auch damit auf.»
Das Bühnenleben wird Anfang nächsten Jahres seinen Abschluss finden mit Lötschers «Rückblicken». Froh, etwas richtig abschliessen zu können, oder traurig, etwas Geliebtes aufzugeben, ist nur eine Frage der Perspektive.