Der Mensch am Scheideweg
24.09.2025 GesellschaftIm Pfarreiheim St. Martin trafen sich Interessierte für einen Vortrag zum Thema «Transhumanismus». Die Religionspädagogin in Ausbildung Jenny Gmünder führte durch einen Abend voller technologischer Visionen und ethischer Bedenken.
DANIELA GERER
«Du, Papa, ich glaube, ich habe Mama gelöscht» jammert Klein-Vreni. Der Vater: «Kein Problem, wir haben irgendwo noch eine Kopie». Manchen Teilnehmenden half am vorvergangenen Mittwochabend schwarzer Humor, um emotional zu verarbeiten, was Jenny Gmünder im Rahmen der Erwachsenenbildungsreihe «Am Puls der Zeit» zum Thema «Transhumanismus» dargelegt hatte.
Seit dem Gilgamesch-Epos träumt die Menschheit von Unsterblichkeit. Doch während die Heldenreise des sumerischen Königs im Bereich des Mythos anzusiedeln ist, stehen wir heute an der Schwelle zu einer wirklichen Transformation des Menschen. Technologie-Enthusiasten, wie Elon Musk und Ray Kurzweil arbeiten daran, den Menschen mittels GRIN (Genetik, Robotik, Informations- und Nanotechnologie) zu «verbessern».
Interaktive Wissensvermittlung
Gmünder, seit fünf Jahren in der Pfarrei tätig, gestaltete den Vortragsabend sehr interaktiv: Die Teilnehmenden arbeiten in einem Begleitheft mit, diskutieren in Gruppen, malen assoziative Bilder. Süssigkeiten erhöhen die Motivation zu guten Beiträgen aus dem Publikum.
Die lockere Atmosphäre täuscht jedoch nicht über die Ernsthaftigkeit des Themas hinweg. Filmausschnitte zeigen die aktuellen Entwicklungen an der Schnittstelle von Mensch und Maschine: KI-Brillen, die Informationen ins Sichtfeld projizieren; Menschen, die sich mit Implantaten zu «Cyborgs» (Mischwesen) weiterentwickeln wollen. Des «Cyborgs» Credo: «Der Mensch entwickelt sich evolutionär zu langsam. Warum nicht nachhelfen, wenn wir als Spezies überleben wollen?»
Die transhumanistische Vision
Die Vision geht weit: Tod, Invalidität und Krankheit sollen überwunden werden. Transhumanisten wollen nicht passiv hinnehmen, dass der Mensch ein verletzliches Wesen darstellt. Gmünder erläutert, dass vielen Transhumanisten Gesundheit selbst nicht genügt – Unsterblichkeit ist das Ziel. Menschen sollen sich dereinst in die Cloud hochladen und Kopien von sich anfertigen können. Erst die Verschmelzung von Mensch und Maschine werde uns vom «evolutionsbiologischen Terror» befreien, so ein Argument der Futuristen.
Tatsächlich sind bereits heute Gehirn-Computer-Schnittstellen in Medizin, Wissenschaft und Militär angekommen. Die Technologie verspricht medizinische Durchbrüche, beispielsweise für Gelähmte, zielt aber langfristig auch darauf ab, eine zusätzliche Ebene menschlicher Gehirnfunktionen zu schaffen. Die Frage ist nicht mehr, ob diese Technologien kommen werden, sondern wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen. Was passiert, wenn die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet ist?
Die unbeabsichtigten Konsequenzen
«Es ist ein Horrorszenario», äussert eine Teilnehmerin beim feinen Pausen-Apéro. Wer sich von Maschinen abhängig mache, unterschätze die vielen potenziell negativen Konsequenzen, zum Beispiel die einer neuen Klassengesellschaft mit technisch Aufgerüsteten, deren Enhancement-Vorteile sich verstärkend perpetuieren könnten, während die Abgehängten chancenlos daneben stünden. Besonders besorgniserregend finden die Anwesenden die Anfälligkeit des Menschen für Manipulation: «Menschen reden schon heute so gerne mit KI und glauben dann alles. Wie kann sich kritische Reflexionsfähigkeit entwickeln, wenn die KI zu meinen Inputs nur Ja und Amen sagt?» Die Teilnehmenden sind sich auch während der Workshop-Diskussion in der zweiten Hälfte des Abends einig: Die Gefahren überwiegen die Chancen. «Ja, es gibt super Anwendungsmöglichkeiten», räumt jemand ein, «aber man sollte skeptisch sein dürfen. Besonders wenn Profitinteressen im Spiel sind, von Menschen, die uns gerne zu ‹funktionierenden Schafen› degradieren möchten.»
Die theologische Perspektive
Während die einen von der Überwindung menschlicher Grenzen träumen, warnen andere vor dem Verlust dessen, was uns als Menschen ausmacht. Besonders herausgefordert sieht sich das christliche Menschenbild: der Mensch als Abbild Gottes, ausgestattet mit unveräusserlicher Würde.
Interessanterweise lehnen Theologen wie Paul Göcke den Transhumanismus nicht per se ab – solange die metaphysische Natur des Menschen erhalten bleibe sowie seine Fähigkeit, frei auf die Liebe Gottes antworten zu können.
Ein notwendiger Dialog
Die Veranstaltung hinterlässt nachdenkliche Gesichter. Die technologischen Möglichkeiten faszinieren und erschrecken zugleich.
Klar wurde vor allem, dass das Format «Erwachsenenbildung» einen wichtigen Beitrag leistet: «Viele wissen nicht, wie weit die Entwicklung schon ist», betont Gmünder. Für eine fundierte gesellschaftliche Debatte brauche es daher zunächst einmal Wissen. Die Zukunft des Menschen ist zu wichtig, um sie allein den Futuristen und Technologieunternehmern zu überlassen.